Eigentlich wollte ich jetzt noch ein paar London-Eindrücke fertigschreiben. Ein paar lustige Erlebnisse, Bilder, aber auch die Eindrücke der massiven Polizeipräsenz in einer akut bedrohten Weltstadt, die wir südösterreichische Provinzler im Straßenbild überhaupt nicht kennen.
Auch wenn wir vom Panik-Modus weit entfernt sind, kann man nicht behaupten, dass man ohne jeglichen dunkelgrauen Gedanken am Flughafen in der Schlange steht oder in eine U-Bahn steigt.
„Was kann man denn da machen?“ fragt angesichts der schrecklichen Bilder aus Brüssel eine Frau ihren Vater in den unglaublich berührenden U-Bahn-Gedanken von Mitzi und er antwortet:
„Einen Hefezopf!“
Ja genau!
Oder in diesem Fall: Osterpinzen. Die backe ich jedes Jahr in rauhen Mengen. Nichts kann tatsächlich dunkelgrauen Gedanken, Hektik, Trübsal und Traurigkeit besser den Garaus machen, als Germteig. Seidig weicher, warmer, gold duftender Teig, diese wunderbare Metamorphose einzelner Zutaten, aus der man all die Zeit und Liebe und Langsamkeit herausschmeckt, die es beim Backen braucht. Duftendes Gebäck, greifbar gewordene Erinnerung an die Kindheit, an liebe Menschen, an besondere Anlässe. Heute ist Karfreitag. Ich bin nicht katholisch, aber ich halte fest an christlichen Werten. Es schadet nicht, ein paar Stunden inne zu halten, in sich zu gehen und sich klar darüber zu werden, was einem wirklich wichtig ist im Leben, wer man sein will und für was wir stehen (wollen) – in Zeiten von verstörenden Nachrichten mehr denn je.
Germteig für den inneren Frieden, Germteig hält die Welt zusammen (und wer je welchen mit den Händen geknetet hat, weiß, dass das möglich ist).
Lasst uns backen.
ZUTATEN UND ZUBEREITUNG
Die wichtigste Zutat beim Germteigbacken ist, wie bei so vielen Dingen, Zeit. Ein paar Stunden sollten es sein, wobei ein großer Teil davon mit dem Genießen von ein, zwei Tassen Tee und guter Musik – wie wäre es einmal mit Klassik? – oder einfach entspannender Ruhe zugebracht werden kann. Für was nehmen wir uns eigentlich noch Zeit – oder was nimmt uns die Zeit?
Dann beginne man damit, die Backzutaten herzurichten (denn am besten hat alles Zimmertemperatur) und das Backrohr kurz kuschelwarm aufzuheizen. So oft kann man die Zutaten des Alltags nicht selbst bestimmen, wir leben nach fremden Rezepten. Es ist zu kalt oder zu heiß. Aus welchen Zutaten soll unser Leben bestehen?
1kg Mehl. Seidig, fein und ganz weich fühlt sich Mehl an. Ich kann nicht anders, ich muss immer mit den Händen in die Schüssel greifen und es spüren, dieses feine Puder. In der Tenne meines Großvaters stand eine Mühle, ein großes, verstaubtes, furchtbar lautes Ding. Wir Kinder durften nie zu nahe dran, damit wir ja im Besitz aller Finger blieben und nicht wie Max und Moritz klein geschrotet als Hühnerfutter endeten. Oben wurden die Körner in einen Trichter geschaufelt, die ganze Tenne war erfüllt von Mehlstaub und Lärm. Unten wurde in einem Sack das Mehl gesammelt. Es war ein sehr grobes Mehl, mitsamt der Kleie und den ganzen Spelzen. Vielleicht wurde damit auch nur das Futtergetreide für die Tiere geschrotet, ich weiß es nicht mehr. Aber an den Geruch werde ich mich immer erinnern.
1/4 l Milch. Milch war für mich seit frühester Kindheit Lebenselixier, Trostpflaster und Heilmittel. Diese süßlich-milde weiße Flüssigkeit, mit einem Löffel Honig darin, später heiß aufgeschäumt mit Kaffee – das holt mir die Lebensgeister zurück. Mein Opa hatte eine einzige Kuh, Bernadette, der hier auf jeden Fall einmal noch eine eigene Geschichte gewidmet wird. In der eigens eingerichteten Melkkammer stand für mich immer ein Keramik-Becher mit einer Rose darauf bereit. Oft bin ich noch direkt im Schlafanzug in den Stall gelaufen und habe von meinem Opa einen Becher frisch gemolkener, kuhwarmer Milch bekommen. Die Milch für den Germteig mag genau gleich warm sein, nicht heiß, nicht zu kalt.
1 Würfel Germ. Die kleinen Zaubergeister, die das Wunder erst gelingen lassen, hassen nichts mehr als Stress, Kälte oder Hitze. Auch die kleinen hilfreichen Zaubergeister im täglichen Leben lassen sich am besten dadurch vertreiben, dass man in Eile ist, ohne Wärme und Gespühr füreinander oder unter hektischem Volldampf. An solchen Tagen will nichts gelingen, alles geht schief. Kein Wunder.
Ich mag keine Trockengerm, für mich muss es die frische Germ sein. Ich reiße das Papier rund um den kleinen Würfel ab. Frische Germ riecht leicht säuerlich, aber immer angenehm und frisch. Sie fühlt sich kühl und elastisch an, glatt und lässt sich gut zerbröckeln. Das mache ich jetzt auch: den graubraunen Würfel vorsichtig in die lauwarme Milch zerbröseln und auflösen, am besten mit einem kleinen Schneebesen verrühren.
1/4l Weißwein. Weißwein steht für mich für meine Heimat, die Steiermark, in der besonders gute Weißweine gekeltert werden, für Verbundenheit. Verbundenheit mit der Gegend, aus der ich komme und die Verbundenheit, wenn man mit Freunden gemütlich bei einem Glas Wein zusammensitzt. Mindestens genau so sehr wie das Glas Wein mit Freunden, liebe ich das berühmte Küchenachterl. Denn das kommt immer vor einem schönen Essen, mit Liebe gekocht für Menschen, die mir wichtig sind. Es duftet aus den Töpfen, einmal noch aufgießen, und ein Schluck davon in’s Glas, ein bisschen Salz in den Topf, ein paar Kräuter, gleich läutet es an der Tür.
Diese beide Achterl von einem guten, milden Weißen kommen jetzt zu der Milch-Germ-Mischung, die daraufhin ausflockt, aber das macht nichts, die drei verstehen sich gut miteinander.
Die Wein-Germ-Milch mischt man in einer großen Schüssel mit so viel vom Mehl, dass ein dicker Brei entsteht, das ist das „Dampfl“. Das wird jetzt mit einem sauberen Küchentuch zugedeckt wie ein Baby und hält im lauwarmen Backrohr ein gemütliches Nachmittagsschläfchen.
Kurz bevor man das blasig-schaumig aufgegangene Dampfl aus seinem gemütlichen Schläfchen holt, zerlasse man ungefähr 200g Butter. Ich koste mich gerne durch viele Gerichte und Geschmäcker. Aber wofür ich wahrscheinlich immer alles stehen lassen würde und was ich immer als erstes essen muss, wenn ich von einer Reise zurück komme, ist eine dicke, von Hand geschnittene Scheibe Schwarzbrot mit Butter drauf. Butter steht für mich für „Heimkommen“ und für „Einfachheit“. Wenn mir alles zu viel ist, ich nicht auch noch über’s Essen nachdenken will, dann mache ich mir ein Butterbrot, vielleicht noch mit ein bissl Salz und Schnittlauch drauf.
Mit der Küchenmaschine schlage ich jetzt 8 Eidotter mit 140g Zucker schaumig. Es gibt von mir ein Foto, da bin ich vielleicht neun Jahre alt. Ich habe einen bunt-geblümten Rock an und komplett zerzauste Zöpfe. Ganz so, als hätte ich mich wieder direkt nach dem Aufstehen nur hastig angezogen und wäre sofort hinausgelaufen. Ich komme gerade aus dem Hühnerstall. Meine schönsten Ferien waren immer am Bauernhof meiner Großeltern und die Tiere, mit denen ich mich am meisten beschäftigt habe, waren die Hühner. Der Blumenrock war gut geeignet dafür, in den hochgeknoteten Rockzipfeln die frisch gelegten Eier in’s Haus zu tragen. Eines davon wurde mir dann zum Frühstück weich gekocht. Ich mag den Brauch, einander zu Ostern gefärbte Eier als Symbol des Lebens zu schenken.
Im Vorraum, wo mein Opa die Stiefel auszog und seinen Strohhut auf den Haken hing, stand hinter dem Vorhang immer eine Schachtel mit Würfelzucker. Davon durften wir Kinder dann ein paar einstecken und als Belohnung den Pferden geben, wenn sie sich von uns brav von der Weide in den Stall führen hatten lassen. Manchmal haben wir auch einen Würfel gestiebitzt und selbst gelutscht. Kein Bonbon konnte je so süß schmecken wie dieser „Pferdezucker“.
Durch den Zucker lassen sich die Dotter zu einer hellgelben, cremigen Masse aufschlagen. Da wird nun die zerlassene, etwas abgekühlte Butter langsam dazu gegossen, während die Maschine weiterrührt. Meine Mutter musste beim Backen die Küchenmaschine bewachen wie ein Schießhund und mit dem Mehl schnell sein, denn wenn sie nicht aufgepasst hat, haben wir uns mit Löffeln in der Hand herangeschlichen und so viel vom Teig weggenascht, dass sie nocheinmal ein, zwei Eier hineinschlagen musste, um den Naschverlust wett zu machen.
Jetzt kommt auch das Dampfl in die Rührschüssel dazu und der Teig ist vor Dieben wieder sicher, denn rohes Dampfl im Teig schmeckt gar nicht gut. Wenn alles gut verrührt ist, wird löffelweise das restliche Mehl dazugefügt. Zuvor ist noch 1TL Salz und ein guter TL Gewürze im Mehl gelandet. Das könnte die abgeriebene Schale einer Zitrone, Vanille sowie etwas gemahlener Ingwer, Kardamom und Anis sein. Anis lasse ich immer weg, denn mein Schwager kann Anis nicht leiden. Seit vielen Jahren entsteht zu Ostern immer der gleiche Dialog zwischen uns: „Ist da Anis drin?“ – „Nein, ich weiß, dass du das nicht magst!“ – „Ah gut, weil deshalb sind deine Pinzen die besten!“. Und als wir dieses Jahr angekündigt haben, dass wir in der Karwoche wegfahren, war die erste Frage „Aber gibt’s dann keine Pinzen?“ (mit schreckgeweiteten Augen). Wahrscheinlich würde er das kleine bisschen Anis gar nicht herausschmecken. Aber es geht gar nicht um ein paar Körner, sondern darum, dass ich diesen Familienbrauch mag. Deswegen, für meinen Schwager, sind meine Pinzen ohne Anis. Stattdessen nehme ich „Mysterium Libarius“ – „Das Geheimnis des Kuchenbäckers“ – von Ingo Holland. Gänzlich anisfrei sorgt es für einen besonders geheimnisvollen Geschmack. Und Geheimnisse sind im Zusammenhang mit Familientraditionen immer ganz praktisch.
Irgendwann „in der Mitte vom Mehl“ wird man, wenn man keine leistungsstarke Küchenmaschine hat, die ganze Masse auf eine Knetunterlage kippen und den Teig mit der Hand fertigkneten. Das macht man nun so lange, bis der Teig nicht mehr klebt und beginnt, sich sowohl von der Unterlage als auch von den Händen zu lösen. Dazu braucht es Geduld, wie für so vieles. Es nutzt auch nichts, wenn man „hudelt“ (= österreisch für: etwas schnell-schnell und dadurch etwas schlampig machen). Wie bei so vielem. Das Gluten im Mehl lässt sich bitten. Wie so vieles.
Der Teig darf nun noch einmal zurück in seine Schüssel, die hoffentlich sehr groß ist, und die Schüssel wiederum zurück in ihre kuschelwarme Backrohrhöhle. Dort kann man sie nun getrost für eine Stunde vergessen.
In dieser Zeit beginne ich meistens mit dem Färben der Ostereier. Meiner Mutter waren ökologische und gesunde Lebensmittel schon wichtig, lange bevor die „Alles Bio“- Welle dahergeschwappt ist. Statt der üblichen chemischen Farben wurden (und werden noch) im Reformhaus Pflanzen und Wurzeln gekauft. Es war nie wirklich vorauszusehen, welche Farben die Eier nun tatsächlich haben würden. Der amüsanteste Jahrgang war auf jeden Fall der, in dem irgendeine Wurzel die Eier tiefbraun gefärbt hat und der Eierkorb wie eine Ladung Pferdeäpfel ausgesehen hat.
Nach einer guten Stunde hat sich das Volumen durch die kleinen Zaubergeister mindestens verdoppelt. Meine Rührschüssel hat eine großen „Gupf“ oder geht sogar über. Der Teig ist nun luftig-schwammig, feinporig und leicht und wird noch einmal kräftig auf der Unterlage durchgeknetet. Mit einer Teigkarte sticht man nun seifenstück-große Portionen ab, die man leicht bemehlt zwischen den Handballen kräftig rollt, bis daraus ganz glatte Kugeln entstehen. Die Teigmenge ergibt je nach Größe um die 25 Stück.
Diese Kugeln setzt man nun nebeneinander auf ein Blech, das man vorsorglich mit Backtrennpapier ausgelegt hat. Dabei ist es wichtig, den Pinzen-Rohlingen genügend Freiraum zu geben. Nur wer genügend Freiraum bekommt, kann sich zu seiner vollen Größe entfalten.
Jetzt verrührt man noch zwei Eidotter mit einem Schluck Milch und bepinselt die kleinen Schätzchen sorgfältig rundherum. Das ist sozusagen die Sonnencreme für die Pinzen. Meine Mutter hat immer schon viel gebacken. Wir Kinder sind dabei leidenschaftlich gerne um sie herum geschlichen. Nicht nur, um Teig zu naschen, sondern weil wir immer schrecklich gerne mithelfen wollten (außer, wenn es hinterher um’s Aufräumen ging, da hatten wir immer plötzlich gaaaanz viele Aufgaben zu machen). Das Bestreichen von Backwerk mit Ei war so eine typische Aufgabe, die wir übernehmen durften.
Für die typische Form nimmt man nun eine Schere und schneide die Pinzen in der Mitte mutig und tief ein. Dann kommen sie in das gut vorgeheizte Rohr. Nach einigen Minuten beginnt es im ganzen Haus wunderbar zu duften. Von jetzt an braucht es nicht mehr lange: wenn die Pinzen rundherum schön goldig-hellbraun sind, sind sie fertig.
In unserer Gegend gibt es das so genannte „achte Sakrament“, nämlich die Fleischweihe, also die Segnung der Osterspeisen. Diese kurze, kleine Feier ist eine der klassischen „heiligen Zeiten“, wo es sogar reine Taufscheinkatholiken in eine Kirche verschlägt. In der Kirche meiner Kindheit fand die Fleischweihe immer am Karsamstag nachmittags statt. Als wir klein waren, bekamen wir die Körbchen vollgepackt und sind mit unserer Oma zur Kirche spaziert. In der Zwischenzeit konnte der Osterhase dann ungestört sein Werk verrichten und die Nester verstecken. Deshalb war und ist es bei uns Tradition, dass es die Osterjause am späten Samstagnachmittag gibt. Es ist nicht leicht, die duftenden Osterpinzen bis dahin vor frechen Diebstahlversuchen zu schützen. Denn Pinzen vor der Osterjause zu essen, ist wie Packerlaufmachen am Vormittag des Heiligen Abends.
Der letzte Schluck Tee in meiner Tasse ist ausgekühlt, das Haus ist erfüllt von diesem unbeschreiblichen Duft. Mittlerweile backe ich die zweite Partie, denn irgenwie setzt doch immer vorösterlicher Pinzenschwund ein und es gibt lange Gesichter, wenn ich unseren Gästen keine Pinzen für das Frühstück am Sonntag einpacke.
Ein bisschen Butter drauf, ich brauch keine Marmelade, ich esse auch keinen Schinken dazu, wie es bei uns üblich ist. Einfach nur Pinze und Butter. Dann beiße ich hinein in den goldgelben Flaum und vergesse einen Augenblick alles um mich herum. Bei diesem ersten Bissen bin ich nie allein. Unser Tisch ist ausgezogen, die Familie ist da, es wird gelacht, wie jedes Jahr kommt die Schüssel mit dem frisch gerissenen Kren genau vor meiner Nase zu stehen. Das Tochterkind versucht, alle im Eierpecken zu schlagen und schiebt dann die angedepschten Eier herüber, weil essen mag sie sie dann nicht. Mein Schwager stellt die Anisfrage und die Neffen schauen auf die Uhr, damit sie das große Osterfeuer der Nachbarn nicht versäumen. Wie jedes Jahr hat meine Schwiegermutter viel zu viel Schinken und Osterwürstel gekauft und wie jedes Jahr fängt mein Mann an zu husten, weil er sich zu viel scharfen Kren auf’s Brot geschaufelt hat. Dann reiche ich den Pinzenkorb noch einmal durch die Runde.
Heute, am Karfreitag, duftet meine kleine Welt tröstlich und süß.